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Naoko Tanakas SchattenTrilogie

Eine Einführung
Von Astrid Hackel 

Anlass der Wiederaufnahme, gehalten am 22.06.2017 im PACT Zollverein in Essen

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Bevor der Abend mit der Aufführung der „Scheinwerferin“, dem ersten Teil der Schattentrilogie, beginnt, möchte ich Ihnen Naoko Tanaka und ihre Arbeit kurz vorstellen. Das ist mir gerade hier eine besondere Freude, da die Künstlerin diesem Haus, dem PACT Zollverein, seit vielen Jahren schon eng verbunden ist – und sich, wie ich von ihr weiß, sehr darüber freut, ihre Arbeiten hier in Essen erneut zeigen zu können.

 

Naoko Tanaka sagt über ihre Arbeit, sie sei der „Versuch, [sich] die gegenwärtige Welt als Erinnerung vorzustellen.“  Ich glaube, dass in diesem Satz ein Schlüssel zum Verständnis – oder vielmehr zur Wirkung ihrer atmosphärisch dichten und geheimnisvollen Bildwelten liegt. So überbordend und dynamisch diese Bildwelten sind, eignet ihnen doch ein existenzielles Gefühl der Verunsicherung, der Vergänglichkeit und der Abwesenheit. 

 

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Präsent und verwaist

Diese Abwesenheit knüpft sich hier merklich an die Dinge, die von Tanaka selbst geschaffen und szenisch arrangiert worden sind. So präsent diese Dinge sind, lassen sie die Bühne doch im selben Moment erstaunlich verwaist wirken.  Mag sein, dass dies mit der umfassenden Dunkelheit zu tun hat, die die Voraussetzung für Tanakas Licht-Kunst ist. Und vielleicht damit, dass sie uns, dem Publikum, nicht zuerst die Dinge selbst zeigt – sondern vor allem die Schatten, die sie werfen. 

 

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Eigenleben der Dinge

Tanakas Kunst besteht darin, diesen Schatten ein Eigenleben, um nicht zu sagen: eine gewisse Eigensinnigkeit zu verleihen. Und zwischen der Welt der Schatten und der der nicht minder eigensinnigen Dinge vermittelnd, öffnet sich hier etwas, das fremd und zugleich nah ist. 

 

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Biografisches

Naoko Tanaka ist, wie Sie vielleicht wissen, in Japan aufgewachsen; sie studierte in Tokio Bildende Kunst und Malerei, ehe sie Ende der 1990er Jahre als Stipendiatin der Kunstakademie Düsseldorf nach Deutschland kam. Hier gründete sie zusammen mit dem Choreographen Morgan Nardi das Künstlerkollektiv Ludica, das in den folgend. Jahren zahlreiche Performances und Tanzinstallationen realisierte.

Die Scheinwerferin: Ein neues Format „Die Scheinwerferin“, vor mehr als sechs Jahren uraufgeführt, ist Tanakas erstes Solostück.     

Mit dieser Arbeit hat sie etwas geschafft, was nur wenigen Künstlerinnen und Künstlern gelingt: Sie hat – das kann man wohl ohne Übertreibung sagen – ein eigenes Format begründet, das Elemente aus der bildenden Kunst, aus dem Theater und dem zeitgenössischen Tanz auf eine ganz besondere Weise kombiniert. 

Damit wurde Naoko Tanaka nicht nur hierzulande bekannt, sondern erlangte auch internationale Aufmerksamkeit: Gastspiele führten sie nach Japan, Serbien und in die Schweiz, nach Rumänien, Portugal, Frankreich und in viele andere Länder. 

 

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Schattentrilogie: Inneres nach außen kehren

Die Schattentrilogie, das sind drei eigenständige und doch aufeinander bezogene Auseinandersetzungen mit Licht und Schatten, die Tanaka als technisch-mediale Phänomene ebenso interessieren wie als Sinnbild für existenzielle Fragen: „Ich glaube“, so heißt es bei ihr, „dass die geistige Innenwelt des Menschen eine grenzenlose Tiefe und Weite aufweist – wie das Universum. Und genauso wie das Universum die Reichweite unseres Verstandes übersteigt, gibt es auch in unserem Inneren einen Bereich, der unbekannt ist und den ich ‚die innere Außenwelt’ nennen möchte.“ 

 

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Das Werkzeug

Naoko Tanaka hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese innere Außenwelt zu beleuchten, sie also gleichzeitig zu zeigen und zu transformieren – nicht allumfassend, sondern punktuell, mit Hilfe einer Taschenlampe oder einer kleinen, an einem langen Stab befestigten Lichtquelle. Dieses ‚Lichtauge‘ ist das wichtigste Werkzeug der Künstlerin.

Mit seiner Hilfe wirft sie, die Scheinwerferin, Schatten an die Wände des Theaters und greift aus tiefster Dunkelheit förmlich nach den Sternen; sie sucht das Große im Kleinen, weckt die vergessenen Erinnerungen, die in weggeworfenen Alltagsobjekten und verlassenen Heimstätten ruhen, und kehrt das Innere hervor. 

 

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Transformation

Wenn es darum geht, das Neue an ihrer Arbeitsweise zu umschreiben, so könnte man sagen, dass Tanaka das Schattentheater, wie es seit Jahrhunderten in vielen Kulturen praktiziert wird, neu erfindet. 

Sie choreografiert visuelle Kunst und setzt die von ihr geschaffenen Objekte – verbogene Gabeln, aufgestülpte Schienen, aus der Form geratene Kinderstühle – raumgreifend in Szene.     

Dabei treibt sie die Materialität dieser ausrangiert wirkenden oder wie von einer Katastrophe gezeichneten Objekte spürbar hervor: die Anmut von Holz, Drahtgeflecht oder Stahl. 

 

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Auflösung und Verdichtung

Zugleich inszeniert Tanaka wie schon erwähnt die Auflösung, das Verschwinden dieser Objekte, und damit auch das Verschwinden der Erinnerungen und der vielfältigen Bindungen, die sie als Teil einer sozialen Ordnung einst ausgezeichnet haben mögen.       

Wir wissen – auch das ist Teil des künstlerischen Programms – nichts Genaues über die Vergangenheit der Objekte, über die einstige Funktion der Räume, die Tanaka uns zeigt, wir wissen nicht, was passiert ist – aber dass etwas passiert sein muss, etwas Existenzielles. 

 

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Abwesenheit inszenieren

Naoko Tanaka bringt keine Geschichten auf die Bühne. An die Stelle der Repräsentation tritt bei ihr die sichtbar gemachte Abwesenheit – die einer Handlung, einer Figur, eines Darstellers. Auf der Bühne ist die Künstlerin zwar präsent, doch bringt sie sich als Akteurin zugleich in Vergessenheit.

Das liegt zum einen an der ungewöhnlichen Dunkelheit, die hier herrscht, und zum anderen daran, dass wir nicht sie sehen, sondern vor allem eine von ihr dirigierte Schattenwelt. 

Als ‚Scheinwerferin‘ schreibt sie sich in die Dinge auf der Bühne ein. Und in die Schatten, die diese Dinge werfen. So wird das stete Nebeneinander von Sein und Schein – Schein und Nicht-Sein – in seinen medialen und metaphysischen Bedeutungen greifbar. 

 

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Nicht Akteurin, sondern Regisseurin

Und doch ist immer nur sie es, die sich durch diese Welt bewegt, um die Dinge – genauer: ihre Schatten zu bewegen. Während sich Tanaka als Akteurin zurücknimmt, tritt sie als Regisseurin deutlich in Erscheinung. Sie zeigt uns, wie ihre aus Tanz, Sound und Schattenbildern geflochtene Zeitkunst entsteht. Wir dürfen ihr dabei zusehen, wie sie, hochkonzentriert, phantastische Bildwelten produziert – und sie auf eine denkbar einfache Machart zurückführt. 

Sie legt ihre Werkzeuge offen – und entzieht uns zugleich die Möglichkeit einer einfachen Identifikation und Handhabung dessen, was sie uns in ihren Stücken zu sehen gibt. 

 

 

Eine Frage der Haltung

Ihre Arbeiten zeichnet eine tiefe Demut gegenüber den Dingen, ihrer Materialität und ihrem sinnlichen Überschuss, ihrem ‚Nimbus‘ sowie ihren nicht in Worte zu fassenden Geschichten aus. 

Ohne jeden Zweifel ist hier eine bildende Künstlerin am Werk, die radikal weglässt, was sie stört und die ihre künstlerische und persönliche Vision bildgewaltig auf die Bühne bringt. 

 

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Höhlenforschung und Kindheit: Archäologien

Für unser gemeinsames Buch, das wir Ihnen im Anschluss an die Vorstellung gern präsentieren möchten, konnten wir neben der Schriftstellerin Yoko Tawada unter anderen auch den Kultur- und Medienwissenschaftler Hartmut Böhme gewinnen. In seinem Beitrag für das Buch zeigt Böhme von der Schattentrilogie ausgehend Bezüge zur antiken Philosophie wie zur zeitgenössischen Kunst- und Bildwissenschaft auf. Er sieht in Naoko Tanaka, so schreibt er, eine Höhlenforscherin im Dienste der Poesie und der Kunst. Als Höhlenforscherin zählt sie: 

 

    zu den künstlerischen Explorateuren einer Welt von verborgenen Hohlräumen und 

Erscheinungen. Diese bilden das Interieur des eigenen Ich, des Körpers, der 

eigenen Geschichte und der phantastischen Welt, die ins Enklave der Dinge und 

des Gedächtnisses gesperrt sind und auf ihre Darstellung warten.     

    War dies nicht die tiefe Überzeugung Freuds: dass unser präsentisches Bewusstsein 

grundiert ist von tieferen Schichten der Historie, von denen wir nichts wissen, 

wenn wir nicht wie ein Archäologe die Tiefenschichten und verborgenen Objekte 

freilegen oder wie ein Höhlenforscher ins unerforschte Dunkel vordringen? 

 

    Am Anfang [...] war die Kindheit. Und sie bildet auch den Ausgang bei Naoko Tanaka. 

 

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Die Kindheit, bleibt zu ergänzen, scheint das Zeitalter der innigen, der unhinterfragten Verbundenheit zwischen belebter und unbelebter Materie zu sein. Dieses frühe Einvernehmen zwischen Subjekt und Objekt ist vielleicht nie wieder zu erreichen – und wenn, dann am ehesten in der Kunst. 

„Die Scheinwerferin“ beginnt deshalb mit einer Selbstinspektion, einer Rückkehr zu sich selbst. Es geht Naoko Tanaka – wir erinnern uns an ihre eingangs zitierte Aussage – um den Versuch, sich die Gegenwart als Erinnerung vorzustellen. 

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