Die Sophiensaelen bieten geistesgegenwärtig „Absolute Helligkeit“
oder wunderbare Physik
Von Franziska Oehme
ARTiBERLIN / 07.07.2012
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Im 2. Teil von Naoko Tanakas Schatten-Trilogie macht absolute Helligkeit Schatten lebendig und zeichnet mit ihnen Räume aus, die aus hell, dunkel und anderen Tönen entstehen können im Gehirn.
Naoko Tanaka steigt auf einen Stuhl, der auf seiner Lehne und trotzdem mit vier Füßen auf dem Boden steht. Und da hat sie ihn, ihren besonderen Blickpunkt. Sie schaut in die Luft über der Bühne und alle behalten diesen Blickwinkel im Kopf. Man schaut genau und lange dorthin, wo nichts ist. Naoko Tanaka setzt die Kapuze auf. Es raschelt, sie verschwindet ganz in ihrem dunklen Anorak und damit im Schwarz, als überall das Licht ausgeht. Als das Licht wieder angeht, hält es sich zurück wie das Tageslicht bei Sonnenfinsternis. Und es wird zurückgehalten. An der Spitze eines langen Angelstabs hält die Performerin eine Glühlampe. Die beginnt sie mit dem Stab langsam über ihrem Kopf zu drehen. Doch vorm Kopf der fingerspitzengroßen Glühlampe an der Spitze der Angel hängt eine kleine runde Scheibe, so dass das Leuchten der Lampe auf den Wänden gegenüber immer nur einen schwarzen Schattenkreis macht, umkränzt von einer schmalen Lichtlinie, wie bei einer totalen Sonnenfinsternis.
Das ist aber der Lichteffekte geringster in diesem Licht-und-Schatten-Spiel. Denn vom Streulicht an den Seiten der kleinen Lampe hellt der Raum auf. Unterhalb der Laufbahn, auf der die Glühlampe kreist, nimmt man im Kreis die Schemen überwuchernd dastehender und schwebender Schubladen wahr – Schubladen, wahrscheinlich aus dem Schreibtisch, der vorn im Kreis der Schubladen mittig und groß auf der Bühne steht. Je näher die winzige Lampe nun den Schubladen kommt, desto deutlicher zeichnen Konturen im Streulicht ihre Schatten ab. Und dringt das Glühwürmchen am Angelstab in die Ritzen und Öffnungen der Laden, zeigen die Schatten von Filmstreifen, Stäben und Fäden, die darin liegen, hängen und eingerichtet sind, an den Wänden nun unheimlich große Gang- und Rastersysteme, durch die man sich dank des pendelnden Lichts zu bewegen scheint. Aber nicht nur man selbst, auch Klänge bewegen sich in der Schattenwelt wie das Licht. Wind und Regen, das Rauschen von Verkehr in Autokolonnen, schneidende Scheren und das Durchblättern von Papier, von Schublade zu Schublade ist etwas anderes zu hören. Alles erinnert an die Geräuschkulisse am Schreibtisch bei offenem Fenster. An- und abschwellend wie die Bewegungen des Lichts bekommen die Geräusche eine Bühne in der grotesken Schattenwelt. Die Geräusche erlangen ein Eigenleben, infizieren sich mit den Schattenmotiven und entwickeln Geschichten, mit denen sie umgekehrt auch sofort als Antrieb fungieren können für Lichtbewegungen, die wiederum neue Schattenreiche eröffnen. Das Geräusch von durchgeblättertem Papier greift in die Saiten einer Bildsprache, die dem Geräusch Raum gibt. Das ist wunderbar und es ist unser Gehirn.
Verblüffend ähnelt die Vorstellung von Naoko Tanakas Bild-Geräusch-Bewegungsmaschine dem Phänomen des Denkens. Und diese Einsicht wandert mit den Schattenbildern im Lichtkreis durch den Raum, unfassbar, aber da. Da, wo plötzlich auch die Wissenschaft wieder gebunden scheint an das Unbegreifbare unseres Wahrnehmungsapparats; da, wo die Grenze logisch feststellbarer Definition verläuft, über die hinausgehend man auf das Staunen ganz früher Wissenschaft zurückgeht und auf den Menschen zulaufend diesen als Betrachter einholt in der absoluten Helligkeit als zitternden, vibrierenden Körper einer Teilhabe-Membran. Naoko Tanakas erkenntnistheoretische Ko-Operation von Wissenschaft und Kunst bringt das wunderbar in Erfahrung.