Streng genommen hat Naoko Tanaka keine Ahnung von Tanz. Sie studierte Malerei und Bildende Kunst in Tokio und Düsseldorf. Vielleicht gerade deshalb und umso mehr überzeugt die künstlerische Inspiration durch das flüchtige Medium, die sie seit 2011 auf faszinierende Weise in installative Bühnenkunst umsetzt. Dabei ist ihre Definition von Choreografie so simple wie magisch: Als „Lichttänzerin“, will heißen als Lichtgestalterin mit festgelegten Bewegungsabfolgen, exponiert sie statt ihres Körpers Räume und haucht ihnen mit einem Spiel aus Licht und Schatten Leben ein. Auf symbolischer Ebene eröffnet Naoko Tanaka dem Publikum damit auch Zugänge zu unbewussten und kindlichen Welten; so geschehen in ihrer sogenannten „Schattentrilogie“ die ihre ersten drei Bühnenarbeiten „Die Scheinwerferin“, „Absolute Helligkeit“ und „Unverinnerlicht“ umfasst.
Für ihre neueste, szenische Installation „Still Lives“ wurden neben dem Licht auch ein Luftkissen aus Polyäthylen - mannshohen Ozeanwellen gleich - sowie ein paar Objekte zu Akteuren. Die der Realität entlehnten und zugleich traumhaft entrückten Alltagsgegenstände und Möbel gruppierten Naoko Tanaka und ihre Mitperformerin Yoshie Shibahara gegen Ende des Stücks selbstvergessen zu einer düster-poetischen und galeriereifen Installation. Dabei wies das scheinbar in den ovalen und schwarzspiegelnden Bühnengrund eingetauchte Objektensemble in unbestimmbare räumliche Tiefen. Als Gegenpol zu diesem seltsam öligen und mystischen Teich entwarf Naoko tanaka einen zur Decke aufsteigenden Lichtstrudel, der auch einen langsam im Raum kreisenden Lichtkegel erzeugt wurde. Dadurch lenkte sie die Aufmerksamkeit nicht nur auf die architektonischen Besonderheiten des ansonsten dunklen Festsaals der Berliner Sophiensaele, sondern öffnete ihn, im übertragenen Sinne, in einem größeren Raum. Gleichsam seiner Verankerung enthoben, konnte der Saal so als entwurzeltes Stückchen Stadtlandschaft in den (inneren) nächtlichen Weltraum entschweben. Und da schwebt er noch; als Nachhall choreografierter visueller Kunst.
Christine Matschke
TANZ Yearbook 2018